Visions-, Strategie oder Positionierungsdokumente haben alle eins gemeinsam: Der Inhalt. „Wir wollen den besten Service bieten, der Kunde steht im Mittelpunkt, wir verstehen die Bedürfnisse…“. Alles gut gemeinte Vorhaben, die am Ende aber keinen Weg in den Shop finden. Das Problem hat System und heißt: Projektmanagement.
Gutes Projektmanagement bedeutet effizientes Arbeiten, einhalten von Terminen und Koordination von unterschiedlichen Dienstleistern. Ich liebe diese Effizienz und schätze Dienstleister, die Termine und Kosten streng einhalten. Der gute Projektmanager arbeitet unbeirrt Ticket für Ticket ab und koordiniert die Ressource so, dass am Ende ein professioneller Online-Shop entstanden ist. Ein Projektmanager ist aber nicht für Customer Insights verantwortlich, er frägt keine Kunden und hinterfragt keine Entscheidungen und ist damit der Empfänger eines Problems, das er in höchster Perfektion ausrollt.
Absender des Problems ist der Unternehmer, der nun endlich mit dem Shop weiterkommen möchte. Er eröffnet den ersten Akt eines irrwitzigen Schauspiels. Der neue Shop soll „flat“ werden und „mobile first“ soll nun endlich umgesetzt werden. Die Conversion Rate soll besser werden (Conversion Optimierung mit Design Thinking) Vorab wurde natürlich die gemeinsame Vision entwickelt: „Es wird der kundenfreundlichste Shop mit dem besten Service“ und die passenden Personas (Wie wird den typischen Käufer entwickeln) haben wir mit der Agentur auch gleich ausgearbeitet.
Schnell spricht man von Projektlaufzeiten, Projektkosten und übergibt das Projekt dem Projektmanagement. Der zweite Akt beginnt damit, dass sich an dieser Stelle die Vision verabschiedet und aus einem großen Bild eine Anzahl von granularen ToDos, Tickets, Userstories oder Haftnotizen werden. Plötzlich wird an technischen Problemen gearbeitet, über Releases diskutiert, Ideen quer von anderen Shops geklaut und verbaut.
Im Akt Nummer 3 erscheinen bereits die ersten Designvorschläge, denn nun drängt der Projektmanager auf Einhaltung des vorgegebenen Zeitplans. Die Aufwände müssen auch hier geschätzt werden, die Machbarkeit nochmals diskutiert damit wir mit der Umsetzung starten können.
Im Akt 4 geht der Shop in den Beta-Test und man bucht sich über einen Service emotionslose Typen, die Bugs in ein System einklopfen. Übersehen wird in dieser Gründlichkeit nichts und am Ende sind alle hochzufrieden: Juhuuu, der Shop ist Bug frei und geht endlich online. In unendlicher, deutscher Gründlichkeit hat man in nur wenigen Monaten einen weiteren Shop live gebracht, der allerdings leider nicht den Umsatzerwartungen entspricht.
Die Vision hat es nur auf die Seite „über uns“ gebracht, die Personas blieben eine Powerpoint-Idee. Kunden Verständnis und Vision wurde nicht in eine Strategie übersetzt. Die Strategie könnte nämlich heißen wir man die Vision überhaupt jemals erreichen und die Wünsche des Kunden erfüllen kann. An dieser Stelle hätte man neue Ideen gebraucht. Ideen, die aus Customer Insights entstanden wären. Durch Kundenbefragungen, Gespräche, Diskussionen. Durch Auswertungen, neu Schlussfolgerungen, neue Erkenntnisse und durch ein Verständnis aus Blick des Kunden.
An welcher Stelle hat man das verpasst? Wo wäre denn Platz für König Kunde gewesen?
Im ganzen letzten Jahr haben wir den Shop Fashionette (Challenge Story Fashionette) begleitet. Das Unternehmen setzt auf die Management-Methode OKR und definiert damit jedes Quartal die Ziele, die erreicht werden sollen. Für jedes Ziel nimmt man sich ausreichend Zeit, denn OKR beschränkt einen in der Anzahl von Projekten und fordert Fokussierung. Jedes Ziel kann daher detailliert bearbeitet werden. Dazu gehört in jedem Fall ein Mindestmaß an Verständnis für die Sachlage und Problemstellung. Analyse ist der erste Bestandteil eines Objekts. Nach genügend Analyse wird man feststellen, dass es häufig an Informationen für eine valide Entscheidung gibt. Schnelle Entscheidungen sind nicht gefragt, wenn es um wirklich innovative Optimierungen geht.
An dieser Stelle hat sich Fashionette die Zeit für den Kunden genommen. In umfangreichen Fokusgruppen Diskussionen haben wir mit Kunden und potentiellen Kunden diskutiert. Wir wollten deren Einstellungen, Meinungen und Gedanken wissen. Bei jeder Diskussion gab es neue Aha-Erlebnisse – echte Erkenntnisse, die den Blick auf’s ganze völlig veränderten. Kunden liefern einfach gute Ideen oder bringen einen auf neue Ideen. Diese haben selten was mit Technologie zu tun aber immer mit Gewohnheiten, Eigenheiten und Einstellungen.
In gemeinsamen Ideenworkshops haben wir die gewonnen Customer Insights bearbeitet, Entscheidungen getroffen und Projekte formuliert. Eine völlig neue Ausgangslage: Der Kunde war im Projekt … und zwar gleich ganz am Anfang und nicht erst beim Testing.
Mit Focusgroups.io haben wir die Personas digitalisiert, um an einer ständigen Weiterentwicklung zu arbeiten. Auf keinen Fall sollten Personas zu Powerpoint-Leichen verkommen. In einem Jahr ist eine unendliche Datenbank an Customer Insights entstanden, die in vielen Projekten immer wieder genutzt wird. Gleichzeit hat das Unternehmen nicht aufgehört neue Insights zu sammeln.
In der letzten Woche 2018 sind wir mit unserem neuen Kunden Powerbar gestartet. Eine kraftvolle und unglaublich erfolgreiche Marke. Zum ersten Mal hab ich hier einen Mitarbeiter gesehen, der sich "Customer Insight Manager" nennt. Er ist das Ende eines Problems und der Anfang für "der Kunde ist König".